In der Postkutsche durche die Berge - Reise nach Granada um 1900

Die Chorros-Schlucht um 1920In den spanischen Gebirgen begegnet man mitunter einem wunderlichen Wesen. Von weitem gleicht es einem Riesentier, das den spitzen Schwanz voran und den großen gelben Kopf hintennach schleppend, sich in wilder Eile die krummen Bergwege hinabwindet, während der Staub es umwirbelt wie eine weiße Wolke. Bei näherem Zusehen erweist es sich als ein ungeheurer Omnibus, der dahinschwankt mit einem Gespann von bis zu 14 Maultieren, Kopf an Schweif in langer Reihe; nur dem Gefährt zunächst sind zwei Tiere nebeneinander vorgespannt, die Stangentiere.

 

Auf dem ersten Tier in der Reihe reitet el Delantero, der Vorreiter; er lenkt den Kurs des langen Gespanns, und in alten Zeiten, als es noch keine Bahnen gab, musste er oft drei Tage und Nächte nacheinander im Sattel sein. Es ist weit von dem Vorreiter bis zum Omnibus, und auf dessen Bock sitzt el Mayoral. Er hält die Zügel der beiden Stangentiere und lenkt mit deren Hilfe das Fuhrwerk, das den starken Krümmungen der Bergstraßen zufolge oft eine ganz andere Richtung hat als der Vorreiter. Ihm liegt auch das wichtige Amt ob, die Bremse zu versehen, und er trägt die Oberverantwortung für das Ganze. Er hat eine Peitsche mit kurzem Schaft und langer Schnur, die drei Tiere weit reicht; und überdies hat er el Zagal, einen vierzehn- oder fünfzehnjährigen Burschen, der neben dem Wagen einherläuft und die trägen Tiere mit einem Stock ermuntert.

 

Das Fuhrwerk hat bisweilen zwei Etagen und außerdem rund herum freihängende Sitze für drei bis vier Personen, deren Beine in der Luft baumeln. Auf diese luftigen Sitze und hinauf zur oberen Etage gelangt man mit Hilfe einer losen Leiter. Ein solcher Omnibus kann zirka dreißig Menschen fassen und hat drei Klassen wie die Eisenbahn. Noch vor wenigen Jahren fuhr er stets unter Bedeckung zum Schutz gegen Räuber, und dies soll in entlegenen Gegenden auch heute noch der Fall sein.

Von großen Städten ist Granada die einzige, die die Verbindung mit der Welt noch mittels dieser altmodischen Fuhrwerke aufrechterhält. Zu allen Seiten Granadas laufen große Verkehrsadern, die Madrid und Nordspanien mit dem südlichen Teil des Landes und den Mittelmeerküsten verbinden; sie nähern sich Granada auf eine Entfernung von wenigen Meilen und biegen dann ab, als stieße die Stadt sie von sich. Nur mit den südlichen Landteilen vermittelt eine kleine Zweigbahn den Verkehr, nach jeder anderen Richtung zu, muss man einen Tag im Omnibus verbringen, ehe man moderne Verkehrsstraßen erreicht.

 


Aus einem Buch, welches um 1900 geschrieben wurde. Verlag und Autor leider unbekannt.

 

 

Die Chorros-Schlucht um 1920